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Kommentar

Was macht der Krieg mit uns?

Wir sind Zuschauer einer Entwicklung, die für die meisten Menschen unvorstellbar war. Die Weltgemeinschaft muss auf das Handeln eines Einzelnen, eines wahnhaft Besessenen reagieren. Wir erleben Politiker, die sich heute windend von erst gestern verkündeten Weltbildern verabschieden. War das vorhersehbar, gibt es überhaupt mit Sicherheit vorhersehbare Zustände für uns Menschen? Damit werden wir auf alle traditionellen Denkmuster der Philosophiegeschichte zurückgeworfen. Gemeine Weisheiten in Sprüchen wie,“Wer enttäuscht ist, hat sich täuschen lassen…“ geben wenig Erkenntnisgewinn für die tägliche Entscheidung, für das tägliche Handeln. Die drängendste Frage, die sich jedem Menschen stellt, ist die nach einer verlässlichen Sicherheit auf der man sein Leben ausrichten kann. Diese Position ist das Einfallstor für religiöse Annahmen, die Geglaubtes absolut setzen, und wie wir aus blutiger Erfahrung wissen, institutionelle Machtansprüche entwickeln. Religiöse Blutspuren sind kein Privileg des Islams, fast jeder religiöse Glaube hat seine dunklen Flecken. Das Christentum dieses Kulturkreises steht auf der Tradition von zum Teil gewaltsamer Ausbreitung. Deschners „Kriminalgeschichte des Christentums“ (Rowohlt Verlag), ein indiziertes Buch, kann da als Eingangslektüre herhalten. Wir brauchen uns in diesem Kontext nicht am Christentum abarbeiten, ist es eben nur eine, zumal heute schrumpfende, Ideologie. Man kann allgemein festhalten, das jede Ideologie zur Begründung von dissozialen Entwicklungen missbraucht werden kann. Wenn ein griechischer Philosoph postuliert,“..alle Menschen streben zum Guten, dann ist in diesem Ausspruch bereits das Dilemma angezeigt. Was ist denn das Gute, wenn es individuell interpretiert werden kann. Eigentlich kann das Gute, absolut überhaupt nicht definiert werden, da es situations und personenabhängig ist. Ersetzen wir den Begriff das Gute mit dem Frieden, sind wir in der Aktualität. Doch Frieden heißt für einen Wahnhaften die Befriedung seiner wahnhaften Bedürfnisse. Jeder wissenschaftlich arbeitende Psychiater wird nun bestätigen, dass die Befriedung wahnhafter Bedürfnisse nicht zur Besserung oder gar zum Frieden aller beitragen kann. Kennzeichen des Wahnes ist das Bestehen einer überwertigen Idee, eben das Geglaubte. Nun wären wir zu keiner rationalen Entscheidung fähig, wenn wir keine Urteile fällen würden. Ständig müssen wir zwischen wahr oder unwahr, richtig oder falsch entscheiden. Ein Philosoph in der Nachfolge Kants, Hans Vaihinger, hat ein bis heute beachtenswertes Werk hinterlassen, dass er in den Wirren des Ersten Weltkrieges entwarf und nach dem Ersten Weltkrieg veröffentlichte. Die „Philosophie des Als Ob“, das auch heute wieder zugänglich ist. Vaihinger geht vereinfacht dargestellt, davon aus, dass wir immer nur mit einer Fiktionen handeln können. Der Punkt ist immer nur ein Punkt, bis ich ihn mit dem Brennglas betrachte. Trotzdem ist er für den praktischen Gebrauch zumeist ausreichend. Wir handeln so, als besäßen wir damit einen absoluten Fixpunkt, wohlwissend, dass der eigentliche Punkt allenfalls in der sich uns darstellenden Fläche liegt. So können wir im allgemeinen auch immer nur Aussagen treffen, die auf unseren bisherigen Erfahrungen beruhen. Alles andere bleibt Hoffnung. Damit soll aber kein Politiker entlastet werden, der blauäugig einer Metaphysik der absoluten Gewaltlosigkeit folgte. So musste ein Minister, der selbst Philosophie studiert hat, den großen Irrtum bekennen, a priori einem Diktator vertraut zu haben. Es ist eine unserer menschlichen Grundschwächen, dass wir immer gerne das glauben möchten, was uns als süße Wahrheit begegnen soll. Diese Erkenntnis über die menschliche Torheit wird nirgends literarisch schöner beschrieben, als bei Erasmus mit seiner Moria (dt. Titel: Lob der Torheit). Ein Buch was auch lange auf dem Index der herrschenden Kirche stand, die wir aber heute im Nachdruck in jeder Buchhandlung erwerben können. Es wäre der ironische Literaturhinweis für diese augenblicklich trüben Stunden des Wartens über die weiteren Entwicklung. Nicht ganz so einfach erhältlich ist das wegweisende Buch des bedeutenden deutschen Philosophen Karl Jaspers, „Die Atombombe und die Zukunft des Menschen“. Jaspers in der seinigen Zeit oft missverstanden wagte damals die Erkenntnis wiederzugeben, dass wir Kinder eines Schreckensgleichgewichtes waren. Mir ist nicht bekannt ob der Ökonom und Kanzler Schmidt, der in seiner Amtszeit mit der Pershing-Situation konfrontiert war, Karl Jaspers und speziell dieses gut lesbare Buch kannte. Schmidt handelte jedenfalls der Jasperschen Erkenntnis folgend, mit Aufrüstung, um ein drohendes Ungleichgewicht zu beseitigen. Heute steht die ohnehin durch Mitglieder- und Wählerverlust gekennzeichnete SPD vor dem Dilemma, aus dem der Schulterschluss mit der politischen Opposition folgt. Parteiprogramme sind Träger politischer Ideologien und es hat den Anschein die meisten müssen neu geschrieben werden. Es ist unterhaltend, wenn in unserer vernetzten Zeit auf den Parteienforen Selbstfindungsdebatten stattfinden, bei denen sich nur zu oft die Unkenntnis der eigenen Wurzeln und Denker offenbart. Selten still ist es derzeitig um „Modephilosophen“ und Vielschreiber geworden, gälte es ja viel bisher zuvor verfasstes zu korrigieren. Und bei der praktischen Willensfindung sind idealistische Volumina wenig hilfreich. Derzeit schlägt die Stunde der Erkenntnistheoretiker, Fiktionalisten und Existenzphilosophen. Mit Vaihinger, Jaspers, für viele, die ihn bisher als bürgerlich verschmähten eine Neuentdeckung wert, sowie Poppers Hinterlassenschaft,  könnte mancher auf die Praxis gerichtete politische Ansatz der Politik Hilfe finden. Wir stehen vor einer neuen Welt Struktur die nicht mehr auf den Ideologien und Religionen der Vergangenheit bauen kann. Wir werden mit der Erkenntnis fehlender absoluter Stützpfeiler Entscheidungen treffen müssen, wissend, dass wir immer verletzbar bleiben.

Hans-Joachim Steinsiek, Chungju/Korea, 7. März 2022

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Kommentar Wahlen

Sachsen-Anhalt ist nicht verloren

Es war eine Wahl mit ungewissem Ausgang. Etwas resigniert fürchteten die Altparteien das Ergebnis. Würde der Wähler sich in die Arme der Extremisten werfen? Ist überhaupt noch eine stabile demokratische Mitte zu finden? Die Überraschung zeigt einen politisch durchaus mündigen Bürger. Ministerpräsident Reiner Haseloff ging klar mit der Prämisse in den Wahlkampf keine Zusammenarbeit mit den politischen Rändern und der Bürger hat es ermöglicht. Haseloff hat nun die freie Wahl eine Koalition unterschiedlicher Struktur zu bilden. Enttäuschung nur dort, wo man überschwengliche Hoffnungen pflegte. SPD und Linke verloren in der Gunst der Wähler ebenso wie die Grünen ihr selbst gestecktes Ziel nicht erreichten. Besonders bitter für eine SPD, die mit einem eigenen Kanzlerkandidaten ein Lehrstück in Selbstwahrnehmung erlebte. Das schlechteste Ergebnis der Partei in diesem Land lässt sich nicht durch die falsche Behauptung schönreden, dass der Wähler taktisch eben zu Haseloff geschwenkt sei. Die SPD hat nicht mehr die Substanz eine Volkspartei zu sein, denn ihr Klientel hätte zur Verhinderung der Rechtsaußen gut die eigene Partei wählen können, da eine Koalition ohnehin denkbar war. Die vom Verfassungsschutz beobachtete AfD hat ihr Ziel ohnehin verfehlt, der Abstand zur CDU ist im Vergleich zu 2016 größer geworden. Haseloff hat gute Chancen noch durch die Vernunft ansprechbare Wähler der Randpartei langfristig wieder aufzufangen. Der Wiedereinzug der FDP ist nicht verwunderlich, Coronapolitik und Klientelpolitik ließen sich in Stimmen ummünzen. Für die SPD dürfte Magdeburg aber eine traurige Vergewisserung sein, dass mit alten Strategien und Anbiederungen zwar Posten für etablierte Politiker kurzfristig zu sichern sind, was den engagierten Wähler aber eher zur Abkehr bewegt. Ein Weiterso käme dem Untergang der Traditionspartei entgegen. Die Bundestagswahl im Herbst wird von der Selbstbestimmung der Parteien abhängen, politische Besitzstände werden in der modernen Gesellschaft keinen Platz mehr haben und Bundesthemen sind mit der kleinsten Kommunalproblematik genauso verbunden wie eine europäische Politik über Ländergrenzen hinaus. Längst werden Normen im europäischen Kontext gesetzt, wo Bund, Land und Kommune reaktiv den Kompass neu justieren müssen. Oft zum Wohle des individuellen Bürgers, der über die hergebrachten Parteistrukturen seinen Willen nur noch bedingt einbringen kann. Freuen darf sich das Land aber über den mündigen Bürger, der als Wechselwähler seine Freiheit demonstriert und jede Verfilzung in alten Parteistrukturen die Stirn bieten kann.

(stk.)

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Gewerkschaften Kommentar Parteien

1. Mai zwischen Traditionspflege und Sinnsuche

Wofür steht heute der 1. Mai? Eine Frage, die zu stellen kaum öffentliches Interesse wecken kann, denn zwischen Unkenntnis geschichtlicher Entwicklungen und idiologischer Stereotypie bewegen sich die Reaktionen zumeist desinteressierter Bürger. Ein freier Feiertag, der auch dem Volkslied folgend ein Fest der sich langsam freundlicher zeigenden Natur gewidmet sein könnte und nur noch für sehr kleine Gruppen eine politische Bedeutung trägt. Längst hat sich die Gesellschaft gewandelt und der Arbeitnehmer ist heute in einer rechtlichen Grundposition, die unvergleich mit der früherer Jahrzehnte ist. Ein reiner Gedenktag und dem Selbstverständnis politischer Parteien und Gewerkschaften dienend? Letztere teilen heute weitgehend das Schicksal großer Religionsgemeinschaften und schrumpfen kontinuierlich, dem Desinteresse der Masse geschuldet. Nun haben Gewerkschaften eine Vertretungsmacht, die in gesetzlichen Vorgaben eingebettet ist und dem Heer von Betriebsräten und Funktionären ihre Existenz sichert. Sie vertreten die „Klasse der Arbeitsplatzbesitzer“, der das stete Heer der Nichtbeschäftigten gegenübersteht. Letzteres hat keine Lobby und ist über die Sozialgesetzgebung alimentiert. Gesellschaftlich steht der „Beschäftigte“ sozial in höherem Ansehen, als der „Unbeschäftigte“, zu dem eine soziale Distanz bis in die gesetzliche Bewertung festgeschrieben ist. Lebensunterhalt in Rente bemisst sich an der Zeit und dem Ertrag in der Lebensleistung als „Beschäftigter“. Abgehängt die, die es aus gleich welchen Gründen nicht vollbracht haben das notwendige Rentenkonto aufzufüllen. Die Kategorie der Grundsicherung liegt unter dem, was ein „ordentlich“ Beschäftigter in der Norm von vorgegebenen Mindestjahren erreichen kann. Festgeschriebene Ungleichheit, die nicht das Einzelschicksal oder die Verfügbarkeit von Arbeit berücksichtigt. Und Vollbeschäftigung hat es in unserem Sozialstaat noch nie gegeben. Lebensleistung ist an Bedingungen verknüpft und soll das Gerechtigkeitsgefühl der „Arbeitenden“ befrieden. „Bedingungslose“ Zuwendungen an die Allgemeinheit passen da nicht in den historischen Kontext, auf den sich Gewerkschaften und Parteien bei der Zelebrierung des 1. Mai berufen. Soziale Gerechtigkeit auf eine allgemeine Menschenwürde und ein Grundeinkommen herunter zu brechen würde den Mythos des 1. Mai stören. Eine systemsprengende Idee, die mit der Neuordnung des Sozialsystems liebäugelt bedroht die traditionspflegenden Institutionen Gewerkschaft und Parteivertretung, wäre sie doch die Aufhebung der bisher gelebten Selbstbestimmung. Aus einem zu erkämpfenden Status führt der rechtliche Anspruch auf eine nicht an Bedingungen geknüpfte Lebensgrundlage, die alle teilen. Noch Utopie, aber bereits in Parteien sich formierende Entwicklung. Was würde aus Gewerkschaften und sozial orientierenden Parteien, wenn morgen eine große Mehrheit von Bürgern ein „Bedingungsloses Grundeinkommen“ einfordert? Eine Aufgabe, der sich Gewerkschaften wie Traditionsparteien bisher noch widersetzen, auch wenn die Idee mittlerweilen mit Beispielen und wissenschaftlichen Fürsprechern die Öffentlichkeit sucht. Das abgedroschene Mailied könnte eine frische Neuauflage erfahren. Allerdings mit gravierenden Neuerungen, die auch Gewerkschaften und Parteien nicht in ihren starren Denkgewohnheiten belassen könnten.

Einen schönen 1. Mai

(stk)

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2021 Corona Kommentar

2021 – Reise ins Ungewisse

Allen Freunden und Lesern zunächst der Wunsch auf ein hoffentlich gutes Jahr. Ein Wunsch, der sich in der augenblicklichen Situation eigentlich nur im Konjunktiv ehrlich ausdrücken lässt. Tägliche Meldungen über erschreckende Todesraten scheinen wohl zunächst die erste Gewissheit von 2021 zu sein. In diesem Punkt werden die Medien vorerst von Reportern beflügelt. Die Berichterstattung über Folgen und den Umgang mit der Seuche, sowie die sozialpsychologischen Betrachtungen abweichenden Verhaltens Einzelner und gesichtsloser Massen gehören jetzt zum täglichen Leben. Über diese statierenden Darstellungen hinaus lohnt sich die Beobachtung der journalistischen Veröffentlichungen. Nicht jede Zeit bietet soviel Meinungsfreiheit wie die jetzige. Das Fehlen sicherer Fundamente erlaubt Interpretationen und Spekulationen. Grob lassen die sich kategorisieren in jene, die sich an der Art der Bekämpfung der Seuche abarbeiten, einschließlich der Spekulation des „hätte man….“. Dann diejenigen, die sich berufen fühlen die Zukunft zu wahrsagen und daraus Notwenigkeiten für das Jetzt postulieren. Letztlich jene, die nichthinterfragte Moralvorstellungen transportieren. Das nicht ausreichend kommentierte Interview gehört hier insbesondere zur letzteren Kategorie, die ich für die gefährlichste halte. Denn wenn in den digitalen Medien sich Akteure, Lokalpolitiker und selbst Verwaltungsleute sich ob ihres „unbeschreiblichen“ Einsatzes ordentlich auf die Schultern klopfen und oft schwer erkennbar ist, was eigentlich zur bezahlten Pflichtaufgabe gehört, ist dies als sozialpsychologisches Phänomen gut wegzustecken. Die Krise gibt halt auch jedem Rädchen im Gefüge eine Aufmerksamkeit, die den Anlaß braucht. Hiermit sind natürlich nicht die berechtigten Hilfeschreie jener gemeint, die unter Druck, und hier Leidensdruck, Mißstände in die Öffentlichkeit bringen. Eine Klage ist kein Tagebucheintrag im Stile verhinderter Kriegsberichterstatter.

Gefährlich wird diese letzte Kategorie dort, wo Politiker und Entscheidungsträger ethische Maßstäbe verwerfen und den Wert von Leben neu bestimmen wollen. Also lässig die Werte des Wirtschaftsablaufs über die Zahl der Seuchenopfer stellen. Dort wird ein Tabu gebrochen, das Widerspruch und Widerstand notwendig macht. Ich hätte da beispielsweise einen lauten Aufschrei in der CDU erwartet, als Schäuble in diese Richtung fabulierte. Wir gehen 2021 in ein Wahljahr und der Bürger wird entscheiden müssen, wer die grundgesetzlich bestimmte Norm des Lebensschutzes ernst genommen hat und nimmt.

Nein, Gewissheiten sind 2021 nur in der Realität zu finden. Es wird eine politische und gesellschaftswissenschaftliche Herausforderung, sich gegen Dummheit und Aberglauben zu stemmen. Letztere lehnen stets die Verantwortlichkeit für deren Folgen ab und verletzen damit die Grundrechte der Anderen.

Bleiben Sie gesund, schützen Sie sich und nutzen Sie den Verstand als Maßstab. Ansonsten bleibt uns nur die ungewisse Hoffnung.

Hol di munter, sagt der Ostfriese, auch wenn es stürmt.

Alles Gute in 2021

Hans-Joachim Steinsiek

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Corona Kommentar

Jammerweihnacht 2020

Nun kommt wohl, was nach Ansicht ernstzunehmender Wissenschaftler schon lange hätte kommen sollen. Die strengere Gangart im öffentlichen Raum ist unabdingbar, denn in Anbetracht einer tödlichen Bedrohung ist das Setzen auf Freiwilligkeit und Einsicht eher eine waghalsige Hoffnung gewesen. Wenn Weihnacht als Zeit der Hoffnung von Gläubigen gesehen wird, bietet das Bild der Realität nicht nur in den Intensivstationen Ohnmacht und Elend. Dabei war die Entwicklung des Pandemiegeschehens vorhersehbar und auch durch den Vergleich mit Staaten, die eine frühere Entwicklung hatten, im Verlauf beschrieben. Der Föderalismus hat in der Bewältigung des Panademiegeschehens kein positives Bild gezeichnet. Dabei hätte man sich an anderen Staaten orientieren können, Südkorea hatte eine viel konsequentere Haltung eingenommen. Zwar hatte es auch dort Ausrutscher gegeben, wenn in Kirchen oder Nachtclubs unter dem Trieb der Vergesellschaftung wider alle Vernunft die Regeln nicht anerkannt wurden. Während wir uns nun eine Schockstarre über Weihnachten und Jahreswechsel verordnen, ist das öffentliche Leben in Südkorea kaum beeinträchtigt. Fragt man nach der Ursache für die Differenz, kommt man um eine Erkenntnis nicht herum, die Disziplin der Asiaten und die Einsicht in Notwendigkeiten sind ausgeprägter als in unserer Spaßkultur. Ein Phänomen ließ sich aber bei uns mit Beginn der Seuche beobachten. Vermeintliche Experten, als Politiker oder Verwaltungsfunktionsträger, traten wo immer möglich ins Rampenlicht oder setzten sich selbst über die sozialen Medien in Szene. Da konkurrierten dann Verwaltungsbeamte, Bürgermeister und Politiker mit Ratschlägen, „Erfolgsberichten“, gespickt mit den jeweils neuesten Zahlen „Wiedergenesener“ und Toten via Facebook, Twitter etc., um ja auf ihren Einsatz zu verweisen. Corona sprengte die Nachrichtenfesseln und führte zur persönlichen Kriegsberichtserstattung von der Pandemiefront. Müßig auf die Nachrichten der Tageszeitungen zu warten, wenn doch die neuesten Zahlen via Facebook von den Verwaltungsakteuren direkt abgeklickt werden können. Distanzen wurden in den Sozialen Medien, in denen das System die „Du-Befreundung“ schon vorgaukelt, vollständig aufgegeben. Das Buhlen um Gunst und Ansehen jenseits von Wahlkämpfen aus der „Macher“ Perspektive. Das die Freiheit des Politikers aber Distanz zu allzu wirtschafltich gedachten Bedenken benötigt, um auch unpopuläre Maßnahmen einfordern zu können, schien vergessen. Erst jetzt bringt das Leid der großen Zahl die Panik und entschuldigende Geste über das zurückliegende Zaudern und Taktieren. Nein, analysierend Zurückschauen möchte man nicht, die Gegenwart ist grausig genug, der Rückblick käme an der Frage des anfänglichen Versagens nicht vorbei.

Ich erinnere mich an den Beginn der Entwicklung. Ich kam gerade von Südkorea zurück, wo wir durch überall sichtbare Veränderungen und pausenlose Beiträge in Funk und Fernsehen auf die neuen Verhaltensnotwendigkeiten vorbereitet waren. Überall Desinfektionsmittel, selbst in Toiletten, die öffentlichen dort allgemein sauberer und kostenlos in größerer Zahl bereitstehend, als wir dies aus unserer heimischen Großstadt kennen. In Kaufhäusern, Hochhausfluren und Aufzügen, überall Menschen mit Masken. Weitgehend selbstgenähte, häufig modische Modelle, immerhin gehört es ich in Korea, daß man auf der Straße wohlgekleidet ist. Mir selbst fällt auf, daß mich Unbekannte auf einmal direkt in Koreanisch ansprechen, wo ansonsten das wohl mit englischen Vokabeln erfolgt wäre. Schnell erschließt sich mir mein Ansichtswechsel… Koreaner tragen auch im Alter Grau und nun fehlte die ansonsten dominante Nase des Europäers, elegant durch die Maske verdeckt. Der Wechsel nach Deutschland führt zu entsetztem Erstaunen. Bereits am Flughafen Menschengruppen in enger Zuwendung. Nein, Corona ist doch weit weg. Es folgen die Monate im Kompetenzgerangel und Freiheitsdiskussionen, die an philosophische Erstseminare erinnerten. Wenn der Eimer der Vernunft aber nun ein Loch hat, predigt selbst der/die Weise in die Wüste. Jochen Steffens Wort, „Junge, du wirst noch mal eine Zeit erleben, da wird nicht mehr regiert, da werden Mängel verwaltet.“ kommt mir in den Sinn. Als Schüler noch, traf ich auf ihn im Rahmen einer gesellschaftspolitischen Veranstaltung in der Essener Volkshochschule. Das von ihm beschriebene Szenario offenbart sich nun in der Krise. Die Politik wird in wichtigen Fragen handlungsunfähig, selbst da, wo in der Bevölkerung bei konkreter Umsetzung Verständnis zu erwarten wäre. Stattdessen dominieren Unvernünftige und agitierende Minderheiten die Leere.

In meiner Herkunftsfamilie hörte ich oft die Floskel, „ihr könnt da ohnehin nicht mitreden, ihr habt ja noch nichts mitgemacht.“ Die Alarmbereitschaft in den Bombennächten, das Bergen von Leichen aus zerbombten Kellern, nein, das entzieht sich unserer Vorstellungskraft. Ob sie, längst verstorben, heute die Belastung ausbleibenden Besuchs, oder das Maskentragen wohl beklagen würden? Klagen war ihnen ja bereits als Kinder aberzogen worden, aber ich bin sicher, sie wären furchtloser als viele Zeitgenossen, denn der Feind ist bekannt und man kann handeln. Die Freiheit zur Handlung statt diffuser Ängste. Die Einsicht in das Notwendige der Handlung, das kein Zaudern duldet. Es ist die Kraft, die ich nicht im Verhalten vieler Politiker wiederfinde. Das Jammern der Einzelnen temporär nicht allein sein zu können, die Abhängigkeit vonfortwährender Vergesellschaftung, es ist symptomatisch für die Leere in einer Überflußgesellschaft, die dem Einzelnen den Anreiz zur Entwicklung einer selbständigen Persönlichkeit nimmt.

Ende Januar werden wir den interkulturellen Vergleich mit Korea fortsetzen können. Das notwendige C1 Visum zur Einreise ist durch das koreanische Justizministerium erteilt und gleich der Verhaltenskatalog unterschrieben, der uns eine 14-tägige häusliche Meditation vorschreibt. Bekannte, die in normalen Zeiten gerne mal zwei Wochen eine Auszeit in einem Kloster in der koreanischen Bergwelt nahmen, hätten derzeit keine Möglichkeit, Korea verweigert konsequent Besuchsreisen. Den Weisungen folgend werden wir also vom Flughafen aus auf dem Hintersitz eines Fahrzeugs, nicht sprechend und mit Maske unseren Zielord ansteuern und dort unsere Wohnung nicht verlassen. Die Literatur ist bereits ausgewählt und es wird sicherlich eine entspannte Zeit, bevor wir Ihnen dann weitere drei Wochen einen Einblick in den koreanischen Alltag unter Pandemiebedingungen übermitteln werden.

Bleiben Sie gesund, oder wie wir es in Ostfriesland zu sagen pflegen: Hol di munter. Zuversicht ist auch in der Krise die stärkste Kraft.

(stk)

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Corona Kommentar

Was gilt es zu schützen

„Weitere Einschränkungen können zu einer ablehnenden Haltung in der Bevölkerung führen…“ diesen Satz konnte man bei der Verkündung neuer Einschränkungsempfehlungen vernehmen. Welcher interessegeleitete Entschluß wird mit dieser Aussage demonstriert? Sind notwendige und auf wissenschaftlicher Basis sinnvolle Entscheidungen jetzt nur noch auf dem Hintergrund von Akzeptanz der Massen zu fällen? Derzeit überbieten sich Lokalkommentatoren in der Bewertung der Sinnhaftigkeit von Sanktionen, die auf das Anschnellen der Coronaraten getroffen werden. Ökonomische und soziale Faktoren bekommen nach den Erfahrungen der ersten Coronawelle mehr Aufmerksamkeit und gewinnen an Bedeutung in allen Entscheidungen. Gleichzeitig geraten in dieser Konstellation Politiker in die Rolle von ethischen Entscheidungsträgern. Wieviel Risiko kann und darf ich politisch rechtfertigen ohne die Grundrechte des einzelnen Bürgers auf Schutz und gesundheitliche Unversehrtheit zu verletzen? Können letztere überhaupt nach dem Prinzip der Massenabstimmung mit beliebigem Ausgang herbeigeführt werden, oder ist die „Unantastbarkeit des Einzelnen“ eine unhintergehbare Schranke, für die der gewählte Politiker ohne Interessenabwägung sonstiger Neigungen einzustehen hat? Ein Blick nach Asien sollte nachdenklich machen und sich nicht auf Länder ohne demokratischer Grundordnung beschränken. Südkorea hat in beispielhafter Weise schnell und äußerst konsequent auf die aufkommende Pandemie reagiert. Ergebnis ist eine vergleichsweise geringe Todesrate und eine landesweite Akzeptanz der von der Regierung zentral vorgegebenen Verhaltensanforderungen. Disziplin ist ein Wesensmerkmal in der demokratischen Gesellschaft, um die in Korea die Regierung nicht buhlen muß. Man empfindet keine Verletzung des Datenschutzes, wenn das leibliche Wohl und Überleben von Menschen Transparenz erfordert. Letztlich muß jeder Verantwortliche als Bürger oder Politiker sich der ethischen Bedingungen vergewissern um nicht in die Diktatur von ökonomischen und sozialen Wunsch- und Gewinnerwartungen zu steuern. Längst geht es nicht mehr ausschließlich um den Verlust von Existenzen, die Fiktion eines Grundanspruchs auf das hemmungslose Ausleben von „sozialen Happenings“ wird medial unkritisch als hinzunehmende Gegebenheit transportiert. Das sich nicht Allein-Ertragen können, das Fliehen aus der häuslichen Umgebung über alle Maßen sind beobachtbare persönliche Defizite, die zu einer Anspruchserwartung verleiten und jeden Politier in der Freiheit seiner Entscheidung hemmen, wenn sie doch der Erwartungshaltung seines Wahlklientels widerspricht. Ergebnis sind zögerliches Urteil und zaghafte Handlung, Erklärungsbedarf und Rechtfertigungszwang, die der Bedrohung durch das Virus und dem Schutz aller Menschen nicht gerecht werden.