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Kommentar

Was macht der Krieg mit uns?

Wir sind Zuschauer einer Entwicklung, die für die meisten Menschen unvorstellbar war. Die Weltgemeinschaft muss auf das Handeln eines Einzelnen, eines wahnhaft Besessenen reagieren. Wir erleben Politiker, die sich heute windend von erst gestern verkündeten Weltbildern verabschieden. War das vorhersehbar, gibt es überhaupt mit Sicherheit vorhersehbare Zustände für uns Menschen? Damit werden wir auf alle traditionellen Denkmuster der Philosophiegeschichte zurückgeworfen. Gemeine Weisheiten in Sprüchen wie,“Wer enttäuscht ist, hat sich täuschen lassen…“ geben wenig Erkenntnisgewinn für die tägliche Entscheidung, für das tägliche Handeln. Die drängendste Frage, die sich jedem Menschen stellt, ist die nach einer verlässlichen Sicherheit auf der man sein Leben ausrichten kann. Diese Position ist das Einfallstor für religiöse Annahmen, die Geglaubtes absolut setzen, und wie wir aus blutiger Erfahrung wissen, institutionelle Machtansprüche entwickeln. Religiöse Blutspuren sind kein Privileg des Islams, fast jeder religiöse Glaube hat seine dunklen Flecken. Das Christentum dieses Kulturkreises steht auf der Tradition von zum Teil gewaltsamer Ausbreitung. Deschners „Kriminalgeschichte des Christentums“ (Rowohlt Verlag), ein indiziertes Buch, kann da als Eingangslektüre herhalten. Wir brauchen uns in diesem Kontext nicht am Christentum abarbeiten, ist es eben nur eine, zumal heute schrumpfende, Ideologie. Man kann allgemein festhalten, das jede Ideologie zur Begründung von dissozialen Entwicklungen missbraucht werden kann. Wenn ein griechischer Philosoph postuliert,“..alle Menschen streben zum Guten, dann ist in diesem Ausspruch bereits das Dilemma angezeigt. Was ist denn das Gute, wenn es individuell interpretiert werden kann. Eigentlich kann das Gute, absolut überhaupt nicht definiert werden, da es situations und personenabhängig ist. Ersetzen wir den Begriff das Gute mit dem Frieden, sind wir in der Aktualität. Doch Frieden heißt für einen Wahnhaften die Befriedung seiner wahnhaften Bedürfnisse. Jeder wissenschaftlich arbeitende Psychiater wird nun bestätigen, dass die Befriedung wahnhafter Bedürfnisse nicht zur Besserung oder gar zum Frieden aller beitragen kann. Kennzeichen des Wahnes ist das Bestehen einer überwertigen Idee, eben das Geglaubte. Nun wären wir zu keiner rationalen Entscheidung fähig, wenn wir keine Urteile fällen würden. Ständig müssen wir zwischen wahr oder unwahr, richtig oder falsch entscheiden. Ein Philosoph in der Nachfolge Kants, Hans Vaihinger, hat ein bis heute beachtenswertes Werk hinterlassen, dass er in den Wirren des Ersten Weltkrieges entwarf und nach dem Ersten Weltkrieg veröffentlichte. Die „Philosophie des Als Ob“, das auch heute wieder zugänglich ist. Vaihinger geht vereinfacht dargestellt, davon aus, dass wir immer nur mit einer Fiktionen handeln können. Der Punkt ist immer nur ein Punkt, bis ich ihn mit dem Brennglas betrachte. Trotzdem ist er für den praktischen Gebrauch zumeist ausreichend. Wir handeln so, als besäßen wir damit einen absoluten Fixpunkt, wohlwissend, dass der eigentliche Punkt allenfalls in der sich uns darstellenden Fläche liegt. So können wir im allgemeinen auch immer nur Aussagen treffen, die auf unseren bisherigen Erfahrungen beruhen. Alles andere bleibt Hoffnung. Damit soll aber kein Politiker entlastet werden, der blauäugig einer Metaphysik der absoluten Gewaltlosigkeit folgte. So musste ein Minister, der selbst Philosophie studiert hat, den großen Irrtum bekennen, a priori einem Diktator vertraut zu haben. Es ist eine unserer menschlichen Grundschwächen, dass wir immer gerne das glauben möchten, was uns als süße Wahrheit begegnen soll. Diese Erkenntnis über die menschliche Torheit wird nirgends literarisch schöner beschrieben, als bei Erasmus mit seiner Moria (dt. Titel: Lob der Torheit). Ein Buch was auch lange auf dem Index der herrschenden Kirche stand, die wir aber heute im Nachdruck in jeder Buchhandlung erwerben können. Es wäre der ironische Literaturhinweis für diese augenblicklich trüben Stunden des Wartens über die weiteren Entwicklung. Nicht ganz so einfach erhältlich ist das wegweisende Buch des bedeutenden deutschen Philosophen Karl Jaspers, „Die Atombombe und die Zukunft des Menschen“. Jaspers in der seinigen Zeit oft missverstanden wagte damals die Erkenntnis wiederzugeben, dass wir Kinder eines Schreckensgleichgewichtes waren. Mir ist nicht bekannt ob der Ökonom und Kanzler Schmidt, der in seiner Amtszeit mit der Pershing-Situation konfrontiert war, Karl Jaspers und speziell dieses gut lesbare Buch kannte. Schmidt handelte jedenfalls der Jasperschen Erkenntnis folgend, mit Aufrüstung, um ein drohendes Ungleichgewicht zu beseitigen. Heute steht die ohnehin durch Mitglieder- und Wählerverlust gekennzeichnete SPD vor dem Dilemma, aus dem der Schulterschluss mit der politischen Opposition folgt. Parteiprogramme sind Träger politischer Ideologien und es hat den Anschein die meisten müssen neu geschrieben werden. Es ist unterhaltend, wenn in unserer vernetzten Zeit auf den Parteienforen Selbstfindungsdebatten stattfinden, bei denen sich nur zu oft die Unkenntnis der eigenen Wurzeln und Denker offenbart. Selten still ist es derzeitig um „Modephilosophen“ und Vielschreiber geworden, gälte es ja viel bisher zuvor verfasstes zu korrigieren. Und bei der praktischen Willensfindung sind idealistische Volumina wenig hilfreich. Derzeit schlägt die Stunde der Erkenntnistheoretiker, Fiktionalisten und Existenzphilosophen. Mit Vaihinger, Jaspers, für viele, die ihn bisher als bürgerlich verschmähten eine Neuentdeckung wert, sowie Poppers Hinterlassenschaft,  könnte mancher auf die Praxis gerichtete politische Ansatz der Politik Hilfe finden. Wir stehen vor einer neuen Welt Struktur die nicht mehr auf den Ideologien und Religionen der Vergangenheit bauen kann. Wir werden mit der Erkenntnis fehlender absoluter Stützpfeiler Entscheidungen treffen müssen, wissend, dass wir immer verletzbar bleiben.

Hans-Joachim Steinsiek, Chungju/Korea, 7. März 2022